Protokoll der Himmelfahrtsfahrt 2015
30. Ausfahrt moderner Zeitrechnung
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Zum Start am Waldkater treffen sich pünktlich zur Abfahrt die Teilnehmer in den
Kategorien Fahrrad einfach, Elektrofahrrad, Auto-Selbstfahrer und
Auto-Mitfahrer. Erste Station wird die schon häufig heimgesuchte Steinerne
Jungfrau in Dölau. Hoppi zeichnet sich für 30malige ununterbrochene Teilnahme
als Marschall aus. Ein weiterer auszeichnungsberechtigterTeilnehmer hat seine
diesjährige Mitfahrt abgesagt. Ob die Absage im Zusammenhang mit der
Auszeichnung steht, ist nicht bekannt. Und nun kommt eine Prämiere, was nach 29
Ausfahrten niemand mehr für möglich gehalten hat. Über den weiteren
Streckenverlauf, ob es über Wettin oder Salzmünde weitergeht, soll abgestimmt
werden und jede Stimme soll gleich viel zählen. Die erste Abstimmung geht
unentschieden auf, wobei bemerkt wird, daß mindestens einer zwei Mal die Hand
gehoben hat, die nächste Abstimmung geht unentschieden aus, wobei bemerkt wird,
daß mindestens einer gar nicht mitgewählt hat. Für das Ergebnis ist es egal, ob
man zwei Mal die Hand hebt oder gar nicht. Hilft jetzt nur noch das Los, eine
Münze wird geworfen und die fällt natürlich auf den Rand, das ist im Gras nun
kein so großes Wunder. Die Münze wird irgendwie dazu gebracht, auf die Seite für
den Weg über die Fähre in Neuragoczy zu fallen. Eine gute Münze, wie sich bald
herausstellt.
In Brachwitz fährt man nach links, wenn man nach Wettin will, also fahren wir nach
rechts, denn dort lockt eine Freiluftgaststätte. Bierchen bestellt, das
mitgebrachte Frühstück auf den Tisch und lauthals ein allgemeines Wohlgefallen
artikuliert. Das lockt einen Reporter vom MDR an, der nun mit Interviews
versorgt wird, wobei er wissen möchte, was die Leute am Samstag so vorhaben.
Bevor man seine Sprüche ablassen darf, muß man sagen: �Hallo, Andre vom MDR
Sachsen-Anhalt�, was sich als größere Klippe erweist. Aber, nachdem es Hoppi als
erster geschafft hat, sprudelt es aus ihm heraus über die Himmelfahrt im
allgemeinen und unsere im besonderen. Und das mit einer Mine, die der epochalen
Bedeutung seiner Ausführungen angemessen ist. Das ist einerseits völlig
überflüssig, da es sich um ein Radiointerview handelt, andererseits kann man so
etwas nicht feixend rüberbringen. Oliver Kahn, für den Hoppi als
Robotrontorwarttitan großes Vorbild ist, spricht seine Sätze auch so, als
sollten sie in Stein gemeißelt werden, als seien sie Ergebnis tiefgründiger
Überlegungen. So wie � Wir müssen den Gegner zu Fehlern zwingen, und selber
keine machen. Und wenn dann jeder 120% gibt, haben wir Chancen XYZ zu schlagen.�
Da kommt man nicht so einfach drauf. Als nächster überwindet Klausimausi die
�Hallo, Andre vom MDR Sachsen-Anhalt�-Hürde und kann ein Loblied auf den HFC
ablassen, ebenso im Oliver-Kahn-Stil. Ja, und dann? Dann kommt Erwin. Erwin, den
bisher alle als Peter kannten, erzählt, er würde am Samstag sechs kleine Gänse
bekommen, die er und seine Frau dann hüten werden und da müßte man sich drauf
einstellen, besonders innerlich, weil die Gänselein noch so klein und sensibel
sind und die neue Umgebung usw. Das kommt aber nicht wie bei Oliver Kahn,
sondern so wie bei Namensvetter Erwin Lindemann, der mit seiner Tochter in
Wuppertal eine Herrenboutique aufmachen will. Und, wie der Protokollant aus
gutunterrichteten Kreisen erfahren hat, wurde das alles sogar gesendet.
Weiter geht es zur Templerkapelle in Mücheln, in Wettin wieder über die Saale und
nach Zaschwitz in den Garten von Theos Eltern, hier erholen wir uns bis Erwin
Teile des Urwallenstein aufführen läßt. Den hat er irgendwo aufgespürt und es
ist ein Genuß, diesen kraftvollen, urigen Text, bevor er von einem gewissen
Schiller verhunzt wurde, von Naturtalenten dargebracht zu bekommen.
Weiter durch die Brehnau auf Schochwitz zu. Die Brehnau ist ein wunderbares Gebiet
für Liebespaare, die ungestört ihre Ambitionen ausleben können, wenn sie ihrem
Treiben durch Spinnen und Ameisen einen zusätzlichen Kitzel geben wollen, hier
sagen sich Fuchs und Hase Gute Nacht. Da laufen im Fernsehen gelegentlich
Sendungen, die über Dörfer in Tibet berichten in denen seit 100 Jahren kein
Europäer war. Daß aber in der Brehnau noch nie ein Tibeter war, wird hier der
Welt erstmalig mitgeteilt. Diese Gegend ist zum Radfahren völlig ungeeignet,
besonders wenn man eine Panne hat. Die Mitmenschen sind bestenfalls mit einem
Kurzwellensender zu erreichen. Aber irgendwie erreichen doch alle das Schloß
Schochwitz. Nun, Schloß oder Gut heißen derartige Anwesen nicht mehr, es ist ein
Castle, und nicht irgendeins, es ist ein Healing-Castle. Da kann sich jeder was
drunter vorstellen. Hier lernen wir noch einen echten Lord kennen, und die
meisten müssen ihre bisherigen Vorstellungen von einem Lord revidieren.
Bemerkenswert sind in diesem Castle, neben vielem anderen, die Betten in den
Pilgerzimmern. Vorhänge um dieselben schützen vor neugierigen Blicken.
Angebracht ist das in dieser Nacht nur bei Hoppi, der sein Bett mit einem
kuscheligen Mäuschen teilt.
Am Abend reisen die ersten ab, weil sie sich z. B. auf das Gänsehüten vorbereiten
müssen. Es wird gegrillt, gesungen und sich von den Strapazen des Tages erholt.
Am nächsten Morgen fehlen zwei Himmelfahrer, die haben einfach den Frühbus
genommen. Der Rest nimmt seine Medizin, frühstückt und macht sich fahrrädig auf
den Heimweg. Im nächsten Jahr wieder eine Jubiläumsfahrt: 30 Jahre Himmelfahrt.
Jochen T.
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