StatistikProtokoll '99
Händel-Hausmitteilungen 1/99
Zum 300. Geburtstag des Stadtchronisten Johann Christoph Dreyhaupt

dreyh.JPG (22619 Byte)Johann Christoph von Dreyhaupt (1699-1769)

Was wüßten wir über die Ereignisse, die Persönlichkeiten und das Lebensgefühl in Halles Mauern vor 250 Jahren, hätte es da nicht den bedeutenden Chronisten unserer Stadt, den verdienstvollen Johann Christoph Dreyhaupt gegeben! Sein Vater war ein seinerzeit wohlbekannter hallescher Kaufmann, der in der Sternstraße außerdem einen gastlichen Ausspannhof betrieb und sicherlich gern den Sohn als seinen Nachfolger gesehen hätte. Doch die Handelslehre in der Messestadt Leipzig brach dieser ab, um sich lieber daheim am Stadtgymnasium die Universitätsreife zu erarbeiten. Sein gründliches, vorrangig an der juristischen Fakultät zu Füßen des Katheders von Christian Thomasius absolviertes Studium währte über sechs Jahre. Während der gesamten darauf folgenden beruflichen Laufbahn scheint er nie ernsthaft erwogen zu haben, die Vaterstadt zu verlassen. In Halle wußte man es aber auch schon sehr bald zu schätzen, einen so fleißigen Juristen und Gelehrten zur alteingesessenen Bürgerschaft zählen zu können. Stets geachtet und mit verschiedenen Ehrungen, wie unter anderem der Erhebung in den Reichsadelsstand, bedacht, blieb Dreyhaupt der Stadt treu. Übrigens begann seine Karriere mit einem denkwürdigen Vertrauensbeweis: Die rechtlich relativ selbständige Landsmannschaft der französischen Einwanderer in Halle stellte den erst 26jährigen Absolventen der Alma mater halensis als ihren Kassenverwalter an! Und schon wenige Jahre später hielten die Berufskollegen den jungen für Halle und den gesamten Saalkreis zugelassenen Advokaten für befähigt, den Vorsitz der halleschen Gerichtsbehörde, des altehrwürdigen sogenannten Schöppenstuhls, zu übernehmen. Doch damit nicht genug: Weitere arbeitsreiche Aufsichtsposten wurden ihm übertragen. So wurde er z.B. Schultheiß der Stadt Halle und Salzgraf der Saline.

dreywapp.gif (34658 Byte)Im Dezember 1768 starb Dreyhaupt in seinem Haus in der Großen Ulrichstraße 42 und wurde auf dem Stadtgottesacker im Schwibbogen Nr. 58 beigesetzt. Angesichts der unbestrittenen Verdienste allein schon bei der gewissenhaften Ausübung seiner vielen Ämter muß es noch heute jeden berühren, daß finanzielle Not seine letzten Lebensjahre tragisch überschattete. Dreyhaupt starb als armer Mann. Die Mitbürger scheinen ihn eben nur als den gelehrten Juristen geachtet und verehrt zu haben - sein Hauptwerk jedenfalls, die bis auf unsere Tage unbestritten wichtigste und von jedem Halle-Forscher beachtete, mit großen finanziellen Opfern herausgegebene voluminöse Chronik von 1749/50 "Beschreibung des Saal-Creyses, insonderheit der Städte Halle, Neumarkt, Glaucha..." stieß auf Gleichgültigkeit und Desinteresse des damaligen Publikums. Der renommierteste Verleger Halles, Johann Justinus Gebauer, lehnte, einen Mißerfolg befürchtend, Druck und Verlag ab. Seine Ahnungen sollten sich bestätigen, denn unter der Betreuung des Projektes durch den Buchdrucker Schneider gab es schon beim ersten Band immer wieder Ärger und Verzögerungen, weil es an Subskribenten mangelte. Als sich zeigte, daß die Herstellung sehr aufwendig werden würde, mußte der Preis für beide Bände von acht auf elf Taler erhöht werden. So viel wollte nun

aber keiner mehr für das Werk ausgeben. Dreyhaupt sah sich gezwungen, wenigstens zwischenzeitlich, für die Spanne eines Monats, mit einem Preis von nur sechs Talern die Käufer anzulocken. Doch nichts konnte den Verfasser aus seiner bedauernswerten, bedrängenden pekuniären Lage mehr befreien. Auch der Vertrieb durch den kapitalkräftigeren Verlag des Waisenhauses seit 1755 erreichte keine Kostendeckung, so daß Dreyhaupt bis zu seinem Tode mit der Angst vor der Pfändung seines Vermögens leben mußte.

Haben Dreyhaupts Zeitgenossen auch die Bedeutung der Chronik nicht einschätzen können, wir Hallenser und Halle-Freunde von heute sehen voller Ehrfurcht auf dieses umfangreiche, aus persönlichen Opfern entstandene Werk. Wir danken es dem fleißigen Dokumenten-Sammler und -Kommentator Dreyhaupt, daß er keine Kosten noch Mühen scheute, es nicht nur beim Zusammentragen und Abschreiben von über tausend Urkunden zu belassen, sondern in die beiden dickleibigen Folianten der Chronik noch viele Kupferstiche einfügen zu lassen. Bis heute greift jedermann gern auf diesen Buchschmuck zurück, wenn es gilt, mit Porträts wichtiger Persönlichkeiten der halleschen Geschichte und mit Gebäude-, Wappen- oder Münzen-Darstellungen entsprechende Texte zu illustrieren. Dreyhaupt allerdings beklagte, daß einige "Zeichnungen", die er der "aufgewendeten grossen Kosten ohnerachtet" hatte auswärts stechen lassen, gar nicht so recht "sauber und zierlich ins Werck gerichtet worden" waren, wie er es sich gewünscht hätte.

Was die chronologische und systematische Ordnung der "Beschreibung" betrifft, muß anerkannt werden, daß sie Chronik und Urkunden-Sammlung gleichermaßen sein will. Natürlich fußten Dreyhaupts Kenntnisse über Halles Vergangenheit auf den Angaben des ersten halleschen Geschichtsschreibers Gottfried Olearius. Doch als hallescher Schultheiß und als Magdeburger Regierungsrat war es ihm "mit vieler Mühe und schweren Kosten" möglich, in eigener unermüdlicher Forschung Dokumente aufzufinden und einzusehen, die Olearius vielleicht nie in die Hand bekommen hätte. So ist Dreyhaupts Werk eben auch eine verdienstvolle, weil bis dahin in der Lokalgeschichtsschreibung noch nicht so übliche umfassende Zusammenschau aller für unsere Stadt und das sie umgebende Land wesentlicher Urkunden. Natürlich wurde dem Verfasser bei seinen Forschungen durch Nichtbeantwortung und Verweigerung von Anfragen auch mancherlei "Verhinderung in den Weg gelegt". Da heißt es auf S. 924 des zweiten Bandes ganz verärgert, daß "wegen Faulheit und Caprice" des derzeitigen Dorfpfarrers nicht angezeigt werden könne, "was vor Prediger an der Kirche zu Morl und was sonst zur Pfarre und Kirche gehöret." Dreyhaupts offensichtlicher Anspruch, lückenlos und genau zu dokumentieren, konnte bei einem solch großen Unternehmen freilich nicht völlige Fehlerlosigkeit zur Folge haben. Zu unübersichtlich waren z.B. die Besitzstände der einzelnen Güter auf dem Lande. So kam aus den Reihen der "vornehmsten" Geschlechter des Saalkreises, denen im zweiten Teil ausführliche genealogische Tabellen gewidmet sind, gleich nach Erscheinen des ersten Bandes prompt eine Beschwerde, weil nicht alle Rittergüter der Familie von Treskau korrekt aufgeführt worden waren!

Dreyhaupts gewaltiges Werk ist aber außerdem auch wirklich eine "Beschreibung", wie der Titel sagt, und unterscheidet sich aus diesem Grund deutlich von Olearius' knapper chronologischer Daten-Reihung. Dreyhaupt möchte den Leser alles wissen lassen: nicht nur die politischen Ereignisse an sich, sondern auch ihre Ursachen und ihre Auswirkungen, die Entwicklung von Wirtschaft und Handel, von weltlichem und geistlichem Wandel in Halle und im Saalkreis, von Kirche, Schule und Universität. Ebenso berichtet er von allen sonstigen "Merckwürdigkeiten" wie von "grosser Dürre und heissen Sommer", auch von "Sonnen-Finsternüssen", von "Theuerung und wohlfeiler Zeit". Selbst Schaden durch Mäusefraß, Vorkommnisse von Mißgeburten und den phänomenalen "Hällischen Messer-Schlucker "hielt er wert zu erwähnen. In einer längst nicht so schnell-lebigen Zeit war sicherlich vieles, was eigentlich schon weit zurücklag, im öffentlichen Bewußtsein haften geblieben, so daß Dreyhaupt bei seiner Schilderung der jüngeren Vergangenheit eine noch lebendige mündliche Überlieferung berücksichtigen und dadurch fast so glaubwürdig wie ein Augenzeuge wirken konnte.

Ein Teil des Werkes bringt in alphabetischer Folge "Lebens-Beschreibungen gelehrter und berühmter Leute" aus Halle. Da dürfen wir es immer wieder bemerkenswert finden und unterstreichen, daß Dreyhaupt unter den Kurzbiographien würdevoller verstorbener und noch lebender Hallenser nicht nur die lange ansässigen Bürger sondern auch den bereits seit Jahrzehnten fern der Heimat lebenden Georg Friedrich Händel wie selbstverständlich eine Stelle zuweist. Der Stolz auf einen Sohn der Stadt, der in einem anderen Land zu Ruhm gekommen ist, muß demnach in Halle schon früh verbreitet gewesen sein.

Götz Traxdorf

Quelle:

-Dreyhaupt: Beschreibung des Saal-Creyses... 
-undatierte Zeitungsartikel, u.a. von Siegmar Baron von Schultze-Galléra (Archiv)

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