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Gottfried Seume

Warum mein Vater den Pfarrer verprügeln wollte

Mein Vater Andreas war ein ehrlicher, ziemlich wohlhabender Landmann, der, wie ich, die Krankheit hatte, keine Ungerechtigkeut sehen zu können, ohne sich mit Unwillen und nicht selten mit Bitterkeit darüber zu äußern. Seine Bekannten nannten ihn also einen hitzigen Kopf, und einige Edelleute einen unruhigen Kopf, den man unterdrücken müsse; das war natürlich und mußte auch gelingen. Nur ein einziges Beispiel seiner Heftigkeit! Ich habe keinen von meinen Großeltern gekannt, wohl aber einen Großvater von seiten des Vaters, einen Mann von mehr als neunzig Jahren, den man nur den alten Jobst nannte und der mir, als kleinem Urenkel, fast eine Stunde Wegs immer einen Kober voll Frühkirschen brachte. Dieser war etwas im Geruch der Ketzerei, weil er nicht das ganze Bonzenwesen des Pfarrers mit gehöriger Gefangennehmung seiner Vernunft gläubig aufnahm, besonders einige Zweifel über die Richtigkeit einiger Dezemforderungen hegte. Der alte Jobst stand bei der Gemeinde für den Riß Kollisionsfällen. Als er starb, überließ die Familie mit Bescheidenheit dem Pfarrer die Anordnung des Leichenbegängnisses, ohne Text und Lieder selbst zu wählen. Der Pfarrer ließ lauter Straflieder singen, unter welchen auch das bekannte "O Ewigkeit, du Donnerwort" war, und hielt zur Erbauung und Abschreckung eine wahre Galgenpredigt. Mein Vater unter den Leidtragendenham in der ersten Wirkung des Sermons einem alten Verwandten das spanische Rohr weg, eilte damit vor die Sakristei und hätte gewiß dem Starfredner eine sehr fühlbare Replik beigebracht, wenn man ihm nicht in den Arm gefallen wäre. "Herr", sagte er mit starker Stimme, "wenn nur Sie und Ihre Familie so ehrliche, gute Leute sind wie der Verstorbene und seine Familie, so können Sie zufrieden sein. Er konnte und wollte Ihre weiten, unersättlichen Ärmel nicht füllen; das war seine ganze Gottlosigkeit." Es entstand daraus ein Konsistorialprozeß, der meinem Vater viel Geld kostete. Der Verweis, den der Pfarrer erhielt, war leicht eingesteckt; aber das Geld, was es meinem Vater kostete, war nicht so leicht ausgezahlt.