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Der unhöfliche Rabe

von Siegfried Berger

Ein edles Tier, das in ein Wappen gerät, muß sich außer dieser Freiheitsberaubung auch noch gefallen lassen, daß es der Held von mancherlei Geschichten wird. So geht es auch dem Raben, der vor dem Merseburger Schloß in einem prunkvollen Käfig um die verlorene Freiheit trauert.

Raben werden alt, uralt, und was ein richtiger Lokalpatriot ist, der pflegt auch dem Merseburger Raben das graueste Alter anzudichten. In der Zeit, als es noch Kaisermanöver gab und in die Städte und Dörfer um das alte Roßbacher Schlachtfeld herum zur Herbstzeit in regelmäigen Abständen Waffenlärm und -glanz für einige Tage hineinstrahlte, lag eines Morgens der uralte Rabe tot. Es war unrecht von ihm, sich kurz vor einem Kaiserbesuch davonzumachen, denn der Landesherr hatte Sinn für das schwarze Vieh und blieb regelmäßig bei seinem Morgenspaziergang vom Schloß aus vor dem Käfig stehen. Er gehörte in das Programm.

Man kann sich die Verlegenheit des Regierungspräsidenten vorstellen - vielmehr man kann sie sich nicht mehr vorstellen - weil die Kammerherren- und Untertanenängste sich allmählich vernebelt haben. Schreckensbleich war der Kutscher und Rabenwärter mit der Todesbotschaft vor Seine Exzellenz getreten, schreckensbleich der Präsident zu dem Käfig geeilt. Auch der sofort herbeigeholte Obermedizinalrat konnte nur den Tod des edlen Tieres feststellen. Alsbald wurde auch der Herr Forstmeister zitiert, und siehe, der Weidmann wußte Rat.

Es sei da ein Oberförster in den großen Waldungen hinter Torgau, der besitze einen echten Raben. Bei der letzten Hirschjagd habe er, der Forstmeister, sich davon überzeugt, daß das Vieh, nach seiner Gefräßigkeit zu urteilen, noch recht munter sei. Die Exzellenz zuckte bei dem Wort Gefräßigkeit ein wenig mit den Wimpern. Denn sie liebte die urtümliche Ausdrucksweise der Herren im grünen Rock nicht sonderlich. Eine kurze Beratung schloß sich an, eine Besprechung mit dem Kommandeur des Kavallerie-Regiments, das am Orte lag, folgte, und eine Stunde später war ein Telegramm in das stille Oberförsterhaus im Walde und ein flinker Husar auf dem besten Pferde der Schwadron unterwegs.

In der preußischen Verwaltung und beim Militär sind Schwierigkeiten dazu da, um überwunden zu werden. Der Husar hatte mit dem verrückten Raubtier im Käfig unterwegs allerhand auszustehen gehabt, aber er brachte die Beute am Vorabend der Kaisertage auf dem Schlosse an. Der Rabe wurde in den Käfig gesetzt, Seine Exzellenz atmete auf. Wie üblich hatte der Regierungspräsident die Ehre, den Landesherrn bei dem ersten Morgenspaziergang zu begleiten. Wie üblich blieb der hohe Herr vor dem Käfig stehen und sah sich mit der Freude des Jägers das kräftige schwarze Raubtier an. Der schwarze Geselle nahm auch richtig Front gegen die mit Schulterstücken und Halsorden funkelnde Uniform, plusterte sich, zog den Kopf ein, machte den Hals wieder lang und sagte mit rauher Stimme laut und leider sehr vernehmlich: "Sauhund, Sauhund !" Es war die schwerste Stunde im Leben Seiner Exzellenz. Aber das Maß war noch nicht voll. Der Rabe hatte bei dem urdeutschen Oberforstmeister noch andere Worte gelernt. Und jetzt krächste er laut und noch vernehmlicher: "A...", aber das Wort wollen wir hier nicht abdrucken, obwohl diese Buchseite in kein Kinderlesebuch kommt. Es paßt besser in den Wald und auf die Heide, in die frische Luft. Und die Exzellenz verlebte eine noch schwärzere Minute. Dann versuchte sie eine wohlgesetzte Erklärung zu formulieren, ohne die ihm nachgeordnete Forstbehörde, die versämt hatte, zu melden, daß dem Raben die Zunge gelöst war, allzu stark zu belasten. Aber der Landesherr schlug seinem Präsidenten kräftig auf die Schulter und lachte.

Die Gastrolle, die der geborgte Rabe in dem vornehmen Schloßbezirk Seiner Exzellenz gab, war bereits eine Stunde nach der Abreise der Majestät beendet, und die Beziehungen des Behördenchefs zu seiner Forstabteilung blieben für längere Zeit merklich kühl.